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Mein Sternenkind Maria

“And every year November gets closer, and every year it gets a little bit colder. Breathe in, breathe out, it'll be okay, be strong, hold on, make it through the day"


Die wohl bedeutendsten Zeilen in einem Lieblingslied. Und da ist er wieder, der November. Und somit auch der Tag an dem ich unser zweites Sternenkind loslassen musste. Ich erinnere mich an jedes auch noch so kleinstes Detail. Es ist fast so als hätte es sich total in mein Hirn und mein Herz hineingebrannt. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich alles vor mir so als würde es gerade erst passieren und ich muss mich kurz kneifen um zu realisieren, dass ich im Jahr 2021 bin.

Mein Mann und ich waren an dem besagten Wochenende im November 2019 bei einer 30iger Feier eines lieben Freundes eingeladen. Da die Feier auf einer Almhütte stattfand packten wir alles zusammen um dann am Samstag, nach dem FH Tag meines Mannes gleich losstarten zu können. Samstagvormittag traf ich mich noch mit meiner Freundin Conny zum Frühstück.


Sie war zu dieser Zeit im Endspurt ihrer Schwangerschaft mit dem kleinen Robin.

Manchmal fühlte ich mich schlecht und hatte Schuldgefühle da ich mich anfangs gar nicht so recht über ihre Schwangerschaft und ihr großes Glück freuen konnte.

Aber jetzt war ich auch endlich schwanger, nach der ganzen Tortur des letzten traumatischen Verlustes unseres Maximilians sollte nun doch endlich alles gut werden. Die Ärzte haben ja auch gesagt, so etwas passiert nie wieder da eine Narbenschwangerschaft extrem selten ist.

Also waren wir guter Dinge. Beim Frühstück mit Conny bekam ich ein leichtes Ziehen im Bauch – nichts Ungewöhnliches am Anfang einer Schwangerschaft. Als ich dann die Toilette aufsuchte hatte ich eine Blutung. Meine Freundin versuchte mich sofort zu beruhigen, sie googelte und zählte mir alle plausiblen Erklärungen auf was es doch sein könnte, aber ich hatte sofort dieses Gefühl, dass wieder etwas nicht stimmt. Ich fuhr danach sofort ins Klinikum, wo ich gottseidank auch gleich drankam. Ich kannte den Arzt, der mich untersuchte und daher war es nicht notwendig, ihm meine ganze Vorgeschichte zu erläutern. Ich zitterte am ganzen Körper, eine Krankenschwester versuchte mich immer wieder zu beruhigen. Es war überall Blut und als der Arzt den Monitor vom Ultraschallgerät von mir weg drehte wusste ich, dass das nichts Gutes bedeuten kann. Er fing plötzlich an ganz leise zu sprechen und auch kurzfristig zu stottern. Alles was ich hörte war „Ring of Fire“, „Gebärmutter leer“ und „erneute Narbenschwangerschaft“. Dieses letzte Wort triggerte mich so stark, dass ich vom Untersuchungsstuhl aufsprang und den Arzt mit aller Gewalt anschrie. Ich schrie ihm meinen ganzen Schmerz, meine extreme Verzweiflung und Wut entgegen denn auch er war einer der gesagt hat so etwas wird nie wieder passieren. Ich lief aufgelöst aus dem Krankenhaus hinaus – wenn ich heute daran zurückdenke, war es mehr als fahrlässig mich in diesem Zustand gehen zu lassen. Weinend rief ich meinen Mann an, der sich sofort auf den Weg von Feldkirchen nach Klagenfurt machte, um für mich da zu sein. Wir fuhren schweigend nach Hause. Ich konnte es einfach nicht verstehen, nicht wahrnehmen und schon gar nicht annehmen. Also bat ich meinen Mann mit mir ins Krankenhaus nach St. Veit zu fahren. Gesagt, getan. Dort erwartete mich trotz Wochenende ein sehr bemühtes Ärzteteam. Es wurden zur Untersuchung sogar zwei erfahrene Gynäkologen hinzugezogen, um mich Best möglichst in der aussichtslosen Situation zu unterstützen. Leider wurde aber hier bestätigt, dass unsere Maria keine Lebenschance hat. Mit dieser Gewissheit fuhren wir nach Hause. Da wir unser ganzes Bettzeug für die Feier gepackt hatten konnte ich mich nicht einmal ins Bett legen. Mein Mann stellte dann die „Ordnung“ zu Hause wieder her und ich fühlte mich wie in Trance. Diese Ohnmacht wie bei Maximilian unserem ersten Sternenkind zu haben – nicht zu wissen, was jetzt wieder auf uns und vor allem auf mich zu kommt sowie die Gedanken an das was wir alles schon durchmachen mussten schnürte mir die Kehle zu. Ich kannte dieses Gefühl schon, wenn ein Kind in einem „umgebracht“ wird, weil es an der falschen Stelle ist und das Gefühl, wenn etwas in einem stirbt, aber jetzt fühlte ich erneut, wie auch ein Teil von mir wieder starb. Es starb auch ein Teil unserer Träume, unserer Zukunft und unseres Wunsches auf eine Familie zu viert. Mit Tränen in den Augen schlief ich ein und wurde nachts immer wieder weinend munter. Diesen seelischen Schmerz kann niemand nachvollziehen, der das nicht ansatzweise selbst durchgemacht hat. Der Schmerz ist mit nichts zu vergleichen, es ist ein Schmerz, der dich lähmt, dich nicht mehr klar denken lässt, der durch deinen ganzen Körper schießt wie ein tödliches Gift und dich zuschnürt als würdest du langsam, aber sicher ersticken.

Am 10. November 2019 schien mir die Sonne ins Gesicht als ich aufwachte. Mein Mann wollte mich und wahrscheinlich auch sich selbst aus diesem Loch, in dem wir beide waren, rausholen und fragte mich, ob wir nicht nach Velden am Wörthersee fahren können, um etwas spazieren zu gehen. Wir haben uns am 17.08.2018 dort am Standesamt das Ja Wort gegeben und nun begriffen wir auch endlich, was es mit der Bedeutung in Guten wie in Schlechten Zeiten auf sich hat. Da die Blutungen aufgehört hatten und mir grundsätzlich alles recht war stimmte ich zu. Wir spazierten schweigend am See entlang, die Sonne schien immer noch und es war trotz der kalten Jahreszeit warm. Ich erinnere mich an einem Moment an dem mir richtig heiß wurde. Ich blickte in den Himmel und sah die Strahlen der Sonne, welche ich in diesem Moment besonders wahrnahm, da sie sich abzeichneten und es so aussah als würden sie auf mich herunterfallen. Wir beide hatten schon seit der Hiobsbotschaft nichts mehr gegessen also kehrten wir in ein uns bekanntes Restaurant ein. Der Versuch, mich mit meinem Lieblingsgericht wieder etwas zurück auf diese Welt zu holen gelang kurzfristig. Trotz allem aber was ich nach wie vor in einem Schwebezustand. Ich ging spazieren – aber spürte es nicht, ich aß – aber schmeckte nicht und ich nahm auch meine Umgebung nicht richtig war. Den Kellner hörte ich nur ganz verschwommen, die Leute, die beim Spazieren bei uns vorbei gingen oder uns entgegen kamen waren wie eine vorbeifahrende U-Bahn. Es fällt mir bis heute schwer, dieser Zustand überhaupt in Worte fassen zu können.

Als ich den letzten Bissen geschluckt hatte spürte ich ein lauwarmes Gefühl in meinem Bauch. Es war total unangenehm und ich suchte die Toilette auf. Dort hatte ich einen Blutsturz nach dem anderen, so schlimm, dass es bis auf die Wandfliesen spritzte. Ich schaffte es noch zurück zum Platz und bat meinen Mann mich nach Hause zu bringen. Vor der Abfahrt musste ich mich noch einmal schwallartig übergeben. Auf der Autobahn verschlechterte sich mein Zustand rapid, ich wurde ohnmächtig. Geistesgegenwärtig rief mein Mann, während er mit 130 km/h auf der Autobahn das Auto lenkte meinen Frauenarzt an, der an diesem Sonntag gottseidank Dienst hatte. Dazwischen schlug er mir immer wieder leicht ins Gesicht und schrie mich an damit ich wieder zu Bewusstsein kam was aber nur wenig Erfolg brachte. Als ich wieder einigermaßen zu mir kam lag ich bereits im Notfallzimmer der Gynäkologischen Abteilung im Klinikum. Es schüttelte mich komplett durch so als hätte ich einen Epileptischen Anfall. Ich musste mich auch durchgehend übergeben und meine Blutdruckwerte waren extrem niedrig. Beruhigt hat sich mein Zustand erst, als ich meinen Frauenarzt Doz. Leipold sah da ich wusste, dass ich ab sofort in den besten Händen bin. Ich überdrehte danach noch mal die Augen und das nächste an was ich mich erinnern konnte war der Gang vor dem OP-Saal. Ich wurde am gleichen Tag noch notoperiert und Maria wurde via Saugcurrettage abgesaugt.

Schreiend und weinend aufgrund erwachte ich im Aufwachraum. Da ich in den letzten Monaten durch die ganzen Operationen öfters hier zu Gast war kannte ich das Team schon und sie gingen sehr behutsam mit mir um. Ich entließ mich am nächsten Tag selbst und telefonierte mit der Uniklinik in Graz. Ich wollte eine weitere Meinung haben da ich mir das absolut nicht mehr erklären konnte was uns da ein zweites Mal widerfahren ist. Sie hatten zu dieser Zeit gerade eine Fachtagung und ein sehr erfahrener Arzt war vor Ort und so fuhr ich am übernächsten Tag gemeinsam mit meiner Tochter und meiner Oma nach Graz.

Der Arzt nahm sich ausführlich Zeit für die Untersuchung. Er hatte sich auch in meine Krankenakte eingelesen, die ich vorab mailte. Er erklärte mir noch einmal was es mit Narbenschwangerschaften auf sich hat und legte mir nahe, mich von unserem Kinderwunsch zu verabschieden. Auch eine künstliche Befruchtung käme nicht in Frage, da es immer wieder sein kann, dass sich das Baby in der Kaiserschnittnarbe einnistet. Wir sollten über Adoption nachdenken. Eine erneute Schwangerschaft könnte mich mein Leben, das die letzten zwei Jahre mehrfach am seidenen Faden hing, kosten.


Liebe Maria, ich weiß, dass viele aus unserem Umfeld nicht verstehen, wie ich noch immer für dich fühle. Ich bin und bleibe deine Mama, auch wenn du an der „falschen“ Stelle warst, dein kleines Herzchen plötzlich aufgehört hat zu schlagen und ich dich zu deinem Bruder Maximilian gehen lassen musste. Ich bin und bleibe deine Mama, auch wenn ich nie erfahren darf, wie dein Lachen klingt, welche Augenfarbe du hast, was du von mir geerbt hast und was von deinem Papa. Ich bin und bleibe deine Mama, ohne zu wissen, wie du dich wohl entwickelt hättest. Welche Rolle spielt das denn schon für meine unendliche Liebe zu dir? Ich bin und bleibe deine Mama von dem ersten Tag an, an dem du mir geschenkt wurdest, vom ersten Tag an, an dem ich wusste, dass ich mit dir schwanger bin. Ich bin und bleibe deine Mama, auch wenn du umkehren musstest und dein kleines Seelchen vielleicht nicht bereit war hier bei uns zu sein. Womöglich hattest du auch noch etwas anderes, viel Wichtigeres zu erledigen. Dein Seelenplan war vorherbestimmt. Ich bin dir dankbar, dass du gemeinsam mit deinem Bruder Maximilian immer bei uns bist, dass ihr beide unsere Schutzengel seid und auch wenn ich euch nicht in den Armen halten konnte, bin ich fest davon überzeugt, dass ihr immer hier bei und mit uns seid. Danke, dass du mich auch in der Schwangerschaft mit Simon begleitet hast, dass du und Maximilian meine Gedanken und Gebete an euch beide ihn zu beschützen und ihn hier bei mir zu lassen erhört habt. Und danke auch dafür, dass ihr beide unsere Sophie begleitet. 2019 im Oktober war sie so stolz als sie erfuhr, dass ich mit dir schwanger bin. Nach dem Verlust von Maximilian konnte sie es kaum glauben endlich ein Geschwisterchen zu bekommen. Sie hat dich schon so herbeigesehnt. Sie wollte dir alles zeigen, für dich da sein. Mit dir spielen, rechnen und dich beschützen. Vor allem wollte sie eines, mit dir gemeinsam groß werden. Bei deiner Verabschiedung erklärte Pater Anton ihr ganz genau wie du jetzt im Himmel oder wo auch immer du sein magst lebst und wir wissen, dass es dir und Maximilian gut geht. Die unzähligen Tränen, die Sophie an eurem Grab geweint hat haben mir das Herz gebrochen, aber es war so wichtig für uns, euch beide auf eurem letzten Weg zu begleiten. Als auch du gegangen bist zog die Traurigkeit und der Schmerz für eine ganze Weile lang in unser Herz. Wir alle fühlten diesen Schmerz auf eine andere Art und Weise. Jeder von uns geht anders damit um. Du warst so sehr willkommen. Heute, zwei Jahre später erlaube ich es mir immer noch darüber traurig zu sein, denn diese Trauer um dich wird mich bis an mein Lebensende begleiten. Wir sind durch dich und dem unglaublichen Schmerz, der kaum auszuhalten war, zusammengewachsen, dafür bin ich dir dankbar. Was du für mich bist, kann ich kaum in Worte fassen. Ich bin dir dankbar, für deinen kurzen Besuch. Meine unendliche Liebe soll dich immer begleiten, bis in alle Ewigkeit und ich weiß, dass wir uns irgendwann wieder begegnen werden. Und wenn ich die Augen ganz fest schließe, sehe ich dich vor mir. Ich sehe dich und Maximilian glücklich vereint, gemeinsam mit meiner Mama, meinem Opa und all den anderen lieben Menschen, die ich in der geistigen Welt habe. Ich liebe dich und trage dich in meinem Herzen. Dein Platz in meiner Welt ist lebensgroß! In Liebe deine Mama



Viele fragen sich jetzt bestimmt, warum ich das aufschreibe. Ganz einfach aus dem simplen Grund, weil es mir hilft. Vielleicht hilft es auch den Menschen in meinem Umfeld oder Außenstehenden mich / uns und unsere Trauer zu verstehen. Ich glaube daran, dass es besser ist seine Freude aber auch sein Leid zu teilen, sich zu zeigen als empathischen, verletzlichen und fühlenden Menschen. Solche Erfahrungen verbinden uns und können uns gemeinsam durch dunkle Zeiten tragen. Im Fühlen und Mitfühlen – im gemeinsamen Füreinander da sein steckt der Schlüssel zu einem besseren Miteinander. Man muss nicht immer alles verstehen, aber man kann es annehmen, akzeptieren und vor allem tolerieren. Und somit sind wir dann auch bereit, unser ganzes Wissen und unsere eigenen schmerzhaften Erfahrungen für Wichtiges einzusetzen und andere zu bestärken nicht aufzugeben. Denn jeder Besuch eines Sternenkindes hat einen Sinn gehabt.


„Cause I know it's warmer where you are, cause no matter how far the view I still always look up to you, I'll always look up to you!”






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