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Über die Trauer

Diesen Montag erhielt ich einen Anruf von einer besorgten Oma: "Sie, Frau Bernadette, therapieren Sie eigentlich auch Kinder?" Ich musste direkt schmunzeln. "Guten Morgen, therapieren tu ich grundsätzlich niemanden, aber ich berate und begleite auch Kleinkinder, Schulkinder, Jugendliche." Ich mache das sogar sehr gerne, denn mich fasziniert ihr unbeschwerter Zugang zum Thema Tod und ich lerne auch immer wieder Neues dazu.


Es ist ja eigentlich eine Banalität, und doch muss ich es immer und immer wieder sagen (vor allem zu Erwachsenen): STERBEN IST NORMAL. Es gehört zum Leben dazu wie Krankheit und Geburt, wie überschäumendes Glück und tiefe Verzweiflung, wie leichte Sommertage und schwere Novemberabende. Menschen ster­ben, weil sie alt sind oder krank, weil sie einen Unfall haben oder weil sie nicht mehr leben möchten. Wenn jemand aus unserer Familie oder unserem Bekanntenkreis stirbt, ist das trau­rig und oft auch sehr schmerzhaft. Doch das ist grundsätzlich ja nicht das Problem. Das Pro­blem ist vielmehr, wie wir damit umgehen: Die Trauer um einen Ver­storbenen ist nicht mehr gesell­schaftsfähig. Diese Emotion ist so negativ besetzt wie nie zuvor. Sie darf nicht sein, und wenn doch, dann bitte wirklich nur kurz ohne viel Drama. Unsere Leistungsgesellschaft verlangt schnell wieder nach fröhlichen Gesichtern und natürlich auch arbeits­fähigen Menschen. Wir tragen am Tag der Beerdigung große Sonnen­brillen und generell gilt: Reiß dich zusammen!


Doch Trauer ist eines der wichtigsten Gefühle, zu dem wir fähig sind, und wenn sie der­art stigmatisiert wird, legen wir meiner Meinung nach den Grundstein für zahlreiche psychi­sche und physische Krankheiten: Schlafstörungen, Depressionen, Suchtverhalten. Die Trauer lässt sich nämlich nicht verbieten, sie lässt sich gut verdrängen aber irgendwann sucht sie sich ihren Weg.


Hätten wir, die Erwachsenen von heute als Kinder mehr Raum gehabt, um unsere Trauer zu leben, hätten wir heute deutlich weniger mit schwierigen Trauerprozessen und ihren Folgen zu tun. Den gesunden Umgang mit Trauer und Tod lernen oder sollten wir bereits als Kind lernen. Bis ins Zeitalter der Industrialisierung hinein wurde auch bei uns zu Hause gestorben. Kein Kind wurde nach draußen geschickt, damit es den Sterbenden nicht sieht. Der Verstorbene wurde tagelang zu Hause aufgebahrt, Freunde, Nachbarn und Familie kamen, um sich zu verabschieden, sie brachten Essen, erinnerten sich gemeinsam. Geburt, Krankheit und Tod waren völlig natürliche Vorgänge, an denen die komplette Familie und Verwandtschaft teilgenommen haben.


Kranke kommen heute ins Krankenhaus, alte Menschen ins Pflegeheim und Sterbende auf die Palliativstation oder in ein Hospiz. Weil Kinder den Tod nicht mehr als Teil des Lebens erfahren, brauchen sie umso mehr Unterstützung dabei, ihn begreifen zu können. Nur durch das altersgemäße Begreifen und Verstehen kann ein Kind seine Gefühle rund um dieses Verlusterlebnis ausdrücken.


Vor allem, brauchen sie auch die Erlaubnis für diese Gefühle. Stirbt ein Elternteil, ein Bruder oder eine Schwester, sind die Eltern oder der überlebende Elternteil nur schwer in der Lage, neben der eigenen Trauer und Aufrechterhaltung des Alltags ihr Kind in seinem individuellen Trauerprozess genügend zu unterstützen.


Großeltern, Taufpaten, Menschen aus dem sozialen Umfeld sollten mit einbezogen werden. Es müssen auch Schulen, Kindergärten, Kitas und andere Betreuungsinstitutionen Verantwortung übernehmen lernen und nicht einfach sagen, dies sei Privatsache. Fachkräfte aus Pädagogik und Betreuung sollten sich entsprechend weiterbilden lassen. Tod und Trauer sind in den vergangenen Jahren ein solch großes Tabu geworden, dass sterben mittlerweile vielen Menschen Angst macht. Es wird Zeit, das anzugehen. Die Frage, wie lange man trauern darf, wird mir relativ oft gestellt. Die Trauer dauert, so lange wie sie eben dauert.


Liebe Eltern, bitte verlasst euch auf euer Gespür und holt bei euch bei Bedarf Unterstützung. Das ist kein Zeichen von Schwäche sondern wirklich sinnvoll. Dass ein Kind mit dem Tod eines nahen Menschen tatsächlich nicht klarkommt, zeige sich vor allem bei längerfristigen Veränderungen. Wenn nach mehr als einem halben Jahr nach dem Verlust noch immer massive Ängste den Alltag des Kindes bestimmen, es wieder ins Bett nässt, es zum Störenfried in der Klasse wird oder die schulischen Leistungen dauerhaft einbrechen, kann es ratsam sein, sich an Experten zu wenden. Ich rate bei meinen Beratungen vor allem zu altersgerechter Sprache und Ehrlichkeit: nichts beschönigen, nichts leugnen und das Kind mit allen nötigen Informationen versorgen. Denn von einem offenen Umgang mit dem Sterben und dem Tod, profitieren Kinder mehrfach: Sie fühlen sich zum einen nicht ausgeschlossen von etwas, das offenbar so enorm ist, dass es alle irgendwie umtreibt. Und: Zum anderen wird die kindliche Neugier befriedigt: Etwas passiert, und ich will begreifen, was da los ist. Lassen Sie bitte Ihr Kind / Ihre Kinder an Ihrer Trauer teilhaben.


Darüber hinaus werden dem Kind keine Wahrnehmungsstörungen eingeredet. Das geschieht schnell, wenn die weinende Mutter behauptet, es würde ihr gut gehen und ihr sei nur etwas ins Auge geflogen. Die eigene Trauer und Hilflosigkeit dem Kind mitzuteilen ist wichtig, um das Kind am Trauerprozess teilhaben zu lassen. Es fühlt sich so ernst genommen. Damit die Gefühle der Kinder Ausdruck finden können, bastle, male oder musiziere ich gerne mit ihnen. Denn oft fehlt ihnen noch das Vokabular, um ihre Gefühle auszudrücken. Auf diese Weise können sich Kinder besser öffnen und sind bereit zu erzählen. Ich bin eine neutrale, außenstehende Person, das spürt das Kind.


Im Gespräch mit den Kindern versuche ich immer auf das einzugehen, was sie im Zusammenhang mit dem Tod beschäftigt. Den Verstorbenen einen neuen Platz zu geben ist eine wichtige Aufgabe. Dafür philosophiere ich viel mit den Kindern. Wo könnten Mama, Papa, Oma, Opa jetzt sein? Im Herzen? Im Himmel? Auf einem Stern? Da ist vieles möglich. Das Einzige, das ich nicht akzeptiere, ist, wenn ein Kind sagt, der Verstorbene sei im Urlaub und komme bald wieder. Das wurde mir als Kind beim Tod meiner Mutter eingetrichtert und ich hab heute noch damit zu kämpfen.

Jedes Kind geht anders mit dem Trauerschmerz um. Von Aggressionen, Reizbarkeit, Angstzuständen, Schuldgefühlen oder Wut gegen den Verstorbenen, gegen sich selbst oder gegen das Leben generell, bis hin zu Rückzug oder körperlichem Schmerz ist alles möglich. Obwohl Trauer immer individuell ist, sind oft ähnliche Trauerphasen zu erkennen:

Phase 1: Ablehnung der Trauer Typische Gefühle: Starre, Leere, Schock. Der Verlust kann nicht realisiert werden. Phase 2: Aufbruch der Trauer Typische Gefühle: Verzweiflung, Wut, Angst und Schuldgefühle Phase 3: Auseinandersetzung mit der Trauer Typische Gefühle: Suchen, Einsamkeit, Unruhe, Dankbarkeit. Den Verstorbenen als inneren Begleiter integrieren. Phase 4: Annahme der Trauer Typische Gefühle: Verlust akzeptieren, Freude, Befreiung, positives Lebensgefühl


Anbei habe ich noch ein paar meiner Lieblingsbücher mit denen ich immer wieder arbeite zusammen gefasst:

Rituale der Trauer





Kinder bei Tod und Trauer begleiten



























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